In den letzten 20 Jahren hat die katholische Kirche rund 15 Prozent ihrer Mitglieder verloren und die evangelischen Kirchen im selben Zeitraum mehr als 20 Prozent. Jedes Jahr hat die Kirche beständig hohe Austrittszahlen – etwa ein Prozent der Mitglieder. Dies ist allerdings nur ein Bruchteil derer, die schon einmal über einen Austritt nachgedacht haben, so eine Studie des Heidelberger Sinus-Instituts – nämlich bis zu 40 Prozent. Bis 2060 sollen sich die Mitglieder der zwei großen deutschen Kirchen daher nochmals halbieren.
Hauptgründe für einen Austritt ist zum einen die Entfremdung zwischen Gläubigen und der Institution Kirche, das von der Kirche propagierte veraltete Weltbild, Verlust von Glaubwürdigkeit, das fehlende Liefern von Antworten für die Menschen und die dadurch verursachte Bedeutungslosigkeit sowie die Arroganz der Kirchenoberen im Zuge der Missbrauchsskandale. Letzteres in Verbindung mit den Affären in Köln und der nicht veröffentlichten Missbrauchsgutachten haben eine Strahlkraft auf ganz Deutschland. Es bringt bei Vielen das Fass zum Überlaufen und führt teilweise zu ausgebuchten Terminen in den Standesämtern. Dies nahmen wir zum Anlass, uns im Rathaus über die aktuelle Situation in Gunzenhausen und über das generelle Austrittsverfahren – auch unter Coronabedingungen – zu informieren:
Nach Auskunft von Herrn Bürgermeister Fitz und den Mitarbeitern des Standesamtes sind im Jahr 2021 bis heute 58 Kirchenaustritte zu verzeichnen. Hiervon betreffen 36 die evangelische und 22 die katholische Kirche. In den Jahren 2020 bzw. 2019 waren es noch 96 bzw. 124 Kirchenaustritte. Auf das Jahr hochgerechnet, wird die Zahl der Kirchenaustritte somit auch in Gunzenhausen zunehmend sein.
Viele empfinden den nötigen Gang zum Standesamt und die dort zu erledigenden Formalitäten für einen Kirchenaustritt als schlicht zu mühsam. Dies ist allerdings nicht der Fall: Ein Austrittswilliger nimmt telefonisch oder digital mit dem Standesamt Kontakt auf, um einen persönlichen Termin zu vereinbaren. Dafür wird ein Personalausweis und eventuell das Familienbuch benötigt. Wartezeiten für einen Termin oder anderweitige Erschwernisse in der Bearbeitung gibt es – trotz der aktuellen erhöhten Anfragen und Schutzmaßnahmen – derzeit nicht. Zusammen mit einer schriftlichen Austrittserklärung fallen nach der Unterzeichnung lediglich 35 Euro Gebühren an. Anschließend wird die Religionsgemeinschaft, das Einwohnermeldeamt und das Finanzamt, ohne weiteres zu tun, von den Behörden informiert. Dank der elektronischen Lohnsteuerkarte erfährt der Arbeitgeber ebenfalls automatisch davon. Die Kirchensteuerpflicht endet mit Ablauf des Monats, in dem der Kirchenaustritt erklärt wurde.
Dass die Kirche unter Geldnot leidet, braucht niemand befürchten. Die zwei großen deutschen Kirchen besitzen 435 Milliarden Euro – 150 Milliarden in Geld und Aktien, 220 Milliarden in Immobilien (ohne Kirchen) und 65 Milliarden in Stiftungen und anderen Vermögenstiteln. Dass Geld in den kleineren Gemeinden fehlt, liegt allzu oft an der unzureichenden Verteilung innerhalb der Kirchen. Und keine Sorge, die Kirche als Träger von Kindergärten, Schulen, Altenheimen, Krankenhäusern und Behinderteneinrichtungen wäre dadurch ebenfalls nicht gefährdet. Dafür bekommen die Kirchen Geld vom Staat, genau wie jeder andere Träger einer sozialen Einrichtung auch.
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