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Welttag gegen Internetzensur: Die Feinde des Internets

Die »Reporter ohne Grenzen« werden am 12. März ihren jährlichen Bericht über die »Feinde des Internets« veröffentlichen.

 

Sie zählen auf, in welchen Ländern Journalisten, Aktivisten und Blogger wegen ihrer Berichterstattung zensiert, bedroht oder getötet worden sind. »Doch was hat das mit uns in Europa zu tun?«, mag sich manch einer fragen. Zwar werden Journalisten hierzulande nur ausnahmsweise mit strafrechtlicher Repression eingeschüchtert, etwa im Dresdner Sachsensumpf-Prozess. Zensur ist jedoch näher, als vielen bewusst ist. 2009 war auch in Deutschland ein »Zugangserschwerungsgesetz« beschlossen worden, von dem die SPD ganz offen zugab, auch politische Inhalte filtern zu wollen. Noch vor drei Jahren planten die Bundesländer, aus dem Internet ein »Kindernet« zu machen, in dem Inhalte nur zu bestimmten Uhrzeiten verfügbar sein sollten. Mit dem Auftritt der PIRATEN auf den Wahlzetteln und in den Parlamenten wurden all diese absurden Pläne parteiübergreifend eingestampft, ACTA wurde gar nicht erst beschlossen.

 

Wie nahe wir einer Zensur waren, verrät ein Blick ins Ausland: In Ungarn soll Meinungsfreiheit eingeschränkt werden können, wenn die nicht näher definierte »Würde der ungarischen Nation verletzt« wird [3]. In der »lupenreinen Demokratie« Russland, wo Homophobie wieder Gesetzeskraft hat, wird inzwischen das Netz kontrolliert. Sogar in den so liberalen USA können aus öffentlichen Bibliotheken und Behörden politisch unerwünschte Websites wie »WikiLeaks« nicht aufgerufen werden. Durch den Patriot Act haben Geheimdienste und Polizei weitreichenden Zugriff auf Kommunikationsdaten der Bevölkerung, auch ohne Richtervorbehalt. Im »Arabischen Frühling« setzten Diktatoren Zensurtechnologie gegen das eigene Volk ein, die aus Deutschland stammt.

 

Doch auch auf europäischer Ebene werden Einschränkungen der freien Kommunikation im Netz gefordert.

 

Vorratsdatenspeicherung

 

In Folge einer EU-Richtlinie haben alle EU-Mitgliedsstaaten bis auf Deutschland und Ungarn die verdachtsunabhängige Protokollierung der Telekommunikationsverbindungen ihrer Bürger durchgesetzt. Jeder Telefonanruf, jede Verbindung mit dem Internet, jedes Standortdatum des Handys oder Smartphones wird bis zu zwei Jahre lang gespeichert. In Polen wurden 2011 innerhalb eines Jahres rund 1,86 Millionen Verbindungs- und Standortinformationen von den Behörden abgefragt. Darunter waren auch Daten von Journalisten und politischen Aktivisten: in einem Korruptionsfall recherchierende Journalisten wurden 2010 gezielt durch Staatsbehörden ausgespäht. Man hat versucht, die Quelle der Journalisten zu enttarnen, die Details zum Korruptionsfall weitergegeben hatte. In Frankreich wurden im Dezember 2011 im Korruptionsfall »Bettencourt« recherchierende Journalisten von Polizei und Geheimdiensten mit Hilfe von Verbindungsdaten ausspioniert.

 

Wie geht es weiter mit der Vorratsdatenspeicherung?

 

Die Union und insbesondere das unionsgeführte Innenministerium pochen weiterhin auf Umsetzung der Richtlinie auch in Deutschland, anstatt im Interesse der Bürger dagegen vorzugehen.

 

Die EU-Kommission hat sich 2012 geweigert, Dokumente zum Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich zu veröffentlichen. Sie hat dem Fraktionsvorsitzenden der Schleswig-Holsteiner Piratenfraktion, Patrick Breyer, sogar mit rechtlichen Konsequenzen gedroht, wenn er seine Klage auf Offenlegung der Akten im Netz veröffentlicht. Auch die Bundesregierung weigert sich, Akten zum Vertragsverletzungsverfahren offenzulegen und behindert somit ebenso wie die EU-Kommission kritische Berichterstattung. Wegen der Weigerung, Akten nach dem Informationsfreiheitsgesetz zur Verfügung zu stellen, wurde ein Gericht eingeschaltet. In einem ersten Schreiben an das Bundesjustizministerium erklärte der zuständige Richter des Verwaltungsgerichts Berlin deutliche Zweifel an der Geheimhaltungspolitik der Bundesregierung.

 

Die überzogene Eile bei der Umsetzung ist auch vor dem Hintergrund der Klage von »Digital Rights Ireland« gegen die EU-Richtlinie zur Vorratsspeicherung vor dem Europäischen Gerichtshof unverständlich. Die Entscheidung, ob die Richtlinie überhaupt mit europäischen Menschenrechten vereinbar ist, steht nämlich nach wie vor aus.

 

ETSI: Die Europäische Überwachungsnorm

 

In einem aktuellen Entwurf des European Telecom Standards Institute (ETSI) mit dem Titel »Überwachung von Cloud-Services« wurde 2012 ein Entwurf für einen Standard für die Überwachung von Internet-Diensten vorgelegt. Eine derartige, verpflichtende Überwachungsschnittstelle würde dazu führen, dass der Staat systematisch über eine digitale Abhörschnittstelle Zugriff auf Mailkonten bei Webmaildiensten, Facebook-Profile, Google+, LinkedIn, Twitter, Onlinechats und Videokonferenzen bekommen würde. Mit so einer Schnittstelle könnte in Echtzeit auf Aktivitäten von Privatpersonen, Aktivisten, Bloggern und Journalisten bei Web 2.0 Diensten zugegriffen werden. Diese Facebook-Überwachungsschnittstelle ist vergleichbar mit einer Europäischen Industrienorm für Überwachung. Und wo eine technische Normierung existiert, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass wachsende Begehrlichkeiten der Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden zu gesetzlichen Grundlagen für die Nutzung der Schnittstelle führen. Zudem dürfte eine einheitliche Schnittstelle für alle staatlichen Datensammler in ganz Europa dazu führen, dass die Abfragen kostengünstiger möglich werden.

 

Was bedeutet ETSI für die vertrauliche Kommunikation?

 

Während des Arabischen Frühlings ist Facebook dazu übergegangen, alle Verbindungen standardmäßig per HTTPS zu verschlüsseln. Der Grund war, dass Facebook seine Nutzer möglichst vor Zugriffen der Behörden schützen und Zugriffe durch Geheimdienste der Regime zumindest erschweren wollte. Zudem könnten Kriminelle versuchen, die ETSI-Abhörschnittstelle zu hacken, um an interessante Daten wie Bankverbindungen, Kreditkarten und private Informationen zu kommen. Laut den Berichten des ORF-Journalisten Erich Moechel wird der Entwurf insbesondere durch Vertreter Großbritanniens vorangetrieben, wo bereits die Verweigerung der Herausgabe von Passwörtern zu verschlüsselten Daten unter Strafe steht.

 

In dem Entwurf für die EU-weite Normierung einer technischen Überwachungsschnittstelle gehen die Autoren sogar davon aus, dass in Zukunft ganz andere Methoden angewendet werden könnten: »Deep Packet Inspection wird wahrscheinlich ein konstituierendes Element dieses Systems sein«, heißt es abschließend im Ausblick des Entwurfs zur ETSI-Überwachungsschnittstelle. Deep Packet Inspection steht für das Abgreifen und Durchleuchten von Datenpaketen, wobei je nach Tiefe unterschiedliche Protokollarten oder aber auch die Inhalte der Kommunikation mitgelesen und mitgeschnitten werden können.

 

ITU: Völkerrechtsinitiative für das Überwachte Netz

 

ITU steht für International Telecommunication Union (Internationale Fernmeldeunion). Auf der »World Conference on International Telecommunications in Dubai« (WCIT-12) wollten viele Staaten einen internationalen Vertrag zur stärkeren Regulierung des internationalen Datenverkehrs vorantreiben. Länder wie China, Russland und Saudi-Arabien wollten auf Basis internationaler, völkerrechtlich verbindlicher Verträge eine rechtliche Legitimation für Überwachung und Zensur des Internets schaffen. Das Vorhaben, den Staaten mehr Kontrolle über das Netz zu geben, ist zum Glück gescheitert. Derzeit obliegt die »Verwaltung« des Internets maßgeblich nichtstaatlichen Akteuren wie der ICANN und ISOC.

 

Wie geht es weiter?

 

Die Bundesregierung hatte dem Vorstoß zu einer Ausweitung der Kompetenzen der ITU auf die Regulierung des Internets bereits im Vorfeld eine Absage erteilt. Ebenso haben die USA sich von dem Vertrag distanziert und ihn nicht unterzeichnet, wie viele andere westliche Staaten auch. Die ablehnende Haltung war aber kein Zufall: Im Vorfeld der Konferenz wurde im Netz und in den Medien intensiv debattiert, wie die ITU die Freiheit im Netz beschneiden könnte. Dank der Wachsamkeit der Netz-Community konnte sowohl das Thema auf die Agenda gehoben werden, als auch die Bundesregierung zu einer verbindlichen Absage gebracht werden. Doch der Spuk ist leider noch nicht vorbei. Am 14. Mai 2013 findet in Genf das »Fifth World Telecommunication/ICT Policy Forum« der ITU statt.

 

Hier könnte es sein, dass einige Länder sich erneut mit dem Wunsch nach mehr Überwachung im Netz aus der Deckung wagen. Grund genug also, wachsam zu sein. Schließlich haben die EU-Mitgliedsstaaten bei der Positionierung zum Vertragsentwurf auf die Presse- und Netzfreiheit keinen Schwerpunkt gelegt.[3]

 

Bestandsdatenauskunft

 

Mit Hilfe von Bestandsdaten können Nutzer von Telefon- oder Internetanschlüssen identifiziert werden. Das neue Gesetz zur Bestandsdatenauskunft soll es für Geheimdienste, Zoll und Polizei noch einfacher machen, an die Daten der Bürger zu kommen. Bestandsdaten können aus Name, Adresse, Kontodaten und Geburtsdatum bestehen. Das sind Daten, die unsere Telekommunikationsanbieter über uns hinterlegt haben.

 

Bestandsdaten sind aber auch PIN- und PUK-Nummer des Smartphones oder Handys, IP-Adresse, Passwörter für Mailaccounts und Zugangsdaten zu digitalen Adressbüchern. Bürgerrechtler und Datenschützer schlagen Alarm, denn es ist bisher weder eine Benachrichtigung der Betroffenen noch eine wirksame Kontrolle vorgesehen. Stattdessen sollen elektronische Schnittstellen etabliert werden, damit der Staat noch einfacher an unsere Daten kommt.

 

Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) kritisierte den Gesetzesentwurf der Bundesregierung: »Mit der Änderung des Telekommunikationsgesetzes würde es für staatliche Behörden wie die Polizei erheblich einfacher, z. B. Nutzerdaten zu IP-Adressen anzufordern. Die Auskunft dieser Bestandsdaten soll sogar ohne Einbeziehung eines Richters möglich gemacht werden. Eine Information über die Abfrage sollen die Betroffenen nicht erhalten. Unter völlig unbestimmten Voraussetzungen soll die Polizei auf Mailbox-PINs und Log-in-Daten für E-Mail-Konten zugreifen können.

 

›Journalisten sind verpflichtet, ihre Informanten zu schützen‹, sagte der DJV-Vorsitzende. ›Das ist nicht mehr möglich, wenn Polizei und Zoll legal E-Mails lesen und Mailbox-Anrufe mithören können.‹ Die Länderkammer müsse der Bestandsdatenauskunft die rote Karte zeigen.«

 

Wie geht es weiter mit der Bestandsdatenauskunft?

 

Die Piratenfraktionen Schleswig-Holstein, Berlin und Nordrhein-Westfalen haben Anträge in den Landesparlamenten eingebracht, um das Gesetz zur Bestandsdatenauskunft im Bundesrat auf die Tagesordnung zu setzen. Wir müssen den Abgeordneten klar machen: Ohne richterliche Anordnung dürfen Bürgerdaten nicht einfach so rausgegeben werden! Derartiges Ausspionieren der Bürger muss auf schwerste Straftaten beschränkt werden und darf nicht schon bei Ordnungswidrigkeiten erlaubt sein! Die Herausgabe von Passwörtern muss in jedem Fall verhindert werden – hier geht es um den Kernbereich unserer Privatsphäre! Geheimdienste haben in unseren Bestandsdaten grundsätzlich nichts verloren! Vor der Anhörung des Bundestags-Innenausschusses zur »Bestandsdatenauskunft« haben Mitglieder der Piratenpartei Deutschland mit einer bildstarken Aktion gegen die geplante Internetüberwachung und Passwortschnüffelei protestiert [6].

 

Auskunftsrecht von Behörden gegenüber der Presse

 

2013 hat ein Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht für Aufsehen gesorgt. Das Innenministerium hatte sich geweigert eine Anfrage eines Journalisten über den Bundesnachrichtendienst (BND) zu beantworten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil zwar festgestellt, dass in dem konkreten Fall ein Rechercheauftrag vorgelegen hätte und die Behörde tatsächlich die Anfrage des Journalisten nicht beantworten müsse. Zugleich hat das Gericht aber festgestellt, dass ein grundsätzlicher Auskunftsanspruch von Bundesbehörden gegenüber Journalisten besteht, wenn sie nach existierenden Daten und Dokumenten fragen. Das Gericht stellte fest, dass ein Auskunftsrecht direkt aus dem Grundgesetz abgeleitet werden kann – auch wenn gesetzliche Vorgaben auf Landes- oder Bundesebene in vielen Fällen fehlen. Trotzdem ist als problematisch zu bewerten, dass dieses Urteil dazu führen könnte, dass Behörden in Zukunft einfach angeben bei der Bereitstellung von Dokumenten unverhältnismäßige Kosten und Aufwendungen zu haben und diese Auskünfte daher verweigern. Nun steht zur Diskussion, ob Gesetze geändert und ein Presseauskunftsrecht auf Bundesebene geschaffen werden sollen, um die Lücke zwischen den Ländergesetzen auszufüllen. Einer der Vorschläge sieht vor, das Informationsfreiheitsrecht um eine Passage zum Auskunftsrecht gegenüber Journalisten zu erweitern.

 

Transparenzgesetz und Informationsfreiheitsgesetz

 

Nach Informationsfreiheitsgesetz können Journalisten aber auch Bürger Informationen von Behörden anfordern und die Beantwortung von Fragen verlangen. In der Praxis entwickelt sich dies aber oft zu einem Hürdenlauf. Zum Einen sind viele Behörden eher unwillig, derartige Anfrage zu beantworten, zum Anderen werden nicht selten Gebühren für die Beantwortung von Anfragen gefordert. Der Wandel in der Medienlandschaft bringt mit sich, dass auch Bürger selbst im Netz publizieren können und auch selbst Nachforschungen anstellen. Dies ist eine Bereicherung für die kritische Berichterstattung. Durch Transparenzgesetze auf Landes- und Bundesebene könnte ein Informationspool für Daten von öffentlichem Interesse geschaffen werden, der kritisch nachfragende Bürger, Bürgerverbände, aber auch Journalisten bei ihrer Recherche entlastet und staatliches Handeln nachvollziehbarer macht. Diese Chancen digitaler Medien finden sich in den gesetzlichen Vorgaben beim Zugang zu Informationen nicht ausreichend wieder. Auch auf EU-Ebene ist die Informationspolitik in Sachen Informationsfreiheit mehr als unzureichend. Journalistenverbände haben mangelhaften Zugang zu EU-Dokumenten und Unterlagen von Kommission und Parlament angeprangert, der die Berichterstattung erschwert.

 

Durchsuchungen von Online-Redaktionen

 

Das Amtsgericht Augsburg hat im Januar 2013 die Durchsuchung der Onlineredaktion der Augsburger Allgemeinen Zeitung angeordnet. Das Gericht wollte den Autor eines anonymen Foren-Beitrags im Online-Forum der Zeitung ausfindig machen, der sich dort über das Verkaufsverbot von Alkohol an Tankstellen nach 20 Uhr und den Augsburger Ordnungsreferenten Ullrich (CSU) empört hatte. Dabei ist die Redaktion nach einer Beschwerde bereits durch eine Löschung des beanstandeten Beitrags dem Kläger, dem Augsburger Ordnungsreferenten, entgegengekommen. Bereits 2011 hatte dieser auf ähnliche Weise versucht, die Herausgabe von Nutzerdaten durch die Augsburger Allgemeine zu erwirken – damals noch ohne Erfolg. Eine Durchsuchung von Redaktionsräumen ist in einem solchen Fall eindeutig unverhältnismäßig und zeugt von mangelndem Respekt gegenüber dem hohen Gut der Pressefreiheit. Es darf nicht sein, dass eine einfache anonyme Beleidigung in einem Online-Forum die Durchsuchung von Redaktionsräumen rechtfertigt. »Ullrich missbraucht Polizei und das Amtsgericht um Kritiker mundtot zu machen und die Presse einzuschüchtern«, meint David Krcek, Landtagskandidat der Piratenpartei im Augsburger Osten.

 

Ebenfalls Anfang dieses Jahres wurde der Betreiber eines Online-Forums wegen der Weigerung, Nutzerdaten herauszugeben, in Haft genommen. Der Deutsche Journalisten-Verband hat diese Maßnahme stark kritisiert. »Die Akzeptanz vieler Online-Medien hängt stark von der Interaktivität zwischen Redaktion und Usern ab«, sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken. »Damit könnte es ganz schnell vorbei sein, wenn die Autoren kritischer Postings befürchten müssen, dass ihre Kontaktdaten bei der Staatsanwaltschaft landen.« Im Februar wurden die Arbeitsräume von mehreren freien Bildjournalisten auf der Suche nach Beweisfotos von einer Demo im vorangegangenen Jahr durchsucht. Dieser Fall zeigt, dass freie Journalisten insbesondere im Bereich Online-Journalismus nur unzureichenden Schutz genießen.

 

Bundesverfassungsgericht bannt Direktberichterstattung via Twitter

 

Bei der Presseinladung zur mündlichen Verhandlung zur Antiterrordatei hieß es: »Das Telefonieren, Twittern und sonstige Versenden von Kurznachrichten, das digitale Abrufen von Daten sowie jegliche Nutzung des Internets im bzw. aus dem Sitzungssaal sind nicht gestattet. Alle für diese Zwecke nutzbaren elektronischen Geräte, insbesondere Mobiltelefone, Laptops und iPads, dürfen im Sitzungssaal nicht verwendet werden. Medienvertretern kann die Nutzung von Laptops im Offline-Betrieb gestattet werden, soweit sichergestellt ist, dass mit den Geräten weder Ton- und Bildaufnahmen sowie Datenübermittlungen durchgeführt werden.« Elektronische Endgeräte haben sich als Berufswerkzeuge moderner Berichterstattung etabliert und sind aus dem Alltag des Journalismus kaum wegzudenken. Es ist unzumutbar, dass jegliche Nutzung von Online-Diensten während der mündlichen Verhandlung bereits im Vorfeld pauschal untersagt wird. Eine moderne Informationspolitik der Gerichte und Behörden muss sich den Gegebenheiten des Informationszeitalters anpassen und darf nicht Anhörungen künstlich zu Online-Medien-freien Zonen erklären.

 

Export von Überwachungssoftware

 

In Deutschland wird Überwachungssoftware entwickelt, die auch in autoritäre Regime exportiert wird, wo nachweislich Menschenrechtsverletzungen begangen werden. Deutsche Überwachungssoftware wird in autoritären Regimen dazu benutzt, um kritische Berichterstattung zu unterdrücken und kritische Blogger und Journalisten auszuspionieren und unter Druck zu setzen. Ganz konkret gehören in Deutschland unter anderem die Münchener Trovicor GmbH und das britisch-deutsche Unternehmen Gamma Group zu den Unternehmen, die autoritäre Regime mit Überwachungssoftware beliefern. Privacy International, Reporter ohne Grenzen, das Bahrain Center for Human Rights (BCHR), Bahrain Watch (BW) und das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) haben daher im Februar 2013 bei der OECD-Beschwerden gegen diese beiden Unternehmen eingereicht.

 

Piraten für Exportverbot

 

Markus Barenhoff, stellvertretender Bundesvorsitzender der Piratenpartei Deutschland und Bundestagskandidat der Landesliste NRW befürwortet die Beschwerde:

 

»Blogger, Netzaktivisten und Bürgerrechtler der arabischen Demokratiebewegung wurden in Verhören mit vertraulichen Inhalten konfrontiert, die zuvor mit Hilfe deutscher Überwachungssoftware abgefangen worden waren. Solche Vorgänge sind für einen demokratischen Rechtsstaat nicht hinnehmbar! Die Bundesregierung muss endlich Konsequenzen aus der Tatsache ziehen, dass in Deutschland entwickelte Überwachungstechnologien anderswo als Waffen eingesetzt werden, um Demokratiebewegungen in der ganzen Welt zu verfolgen. Das Internet ist eine riesige Chance für die Demokratie weltweit. Die Bundesregierung sollte sich deswegen dafür einsetzen, den Export und den Einsatz von Überwachungssoftware international zu ächten und sie neben Panzer und U-Boote unter das Kriegswaffenkontrollgesetz zu stellen. Es ist nicht hinnehmbar, dass Staaten Überwachungssoftware gegen die eigene Bevölkerung einsetzen. Im digitalen Zeitalter wird Überwachung als Waffe gegen demokratische Bewegungen instrumentalisiert, um diese mundtot zu machen. Unsere Solidarität gilt insbesondere auch den internationalen Piratenparteien, die unter anderem in Russland von derartigen Überwachungsmaßnahmen ganz konkret betroffen sind. Bestrebungen der Bundesregierung, mit dem Staatstrojaner derartige Unrechtssoftware auch in Deutschland einzusetzen, lehnen wir ab.«

 

Selbstzensur durch Pressezivilrecht

 

In Deutschland genießt das Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit aufgrund der Garantie in Art. 5 des Grundgesetzes Verfassungsrang. Diese Freiheiten zu sichern, ist ein fundamentales Anliegen der PIRATENPARTEI. Doch die scheinbar selbstverständliche Meinungsfreiheit wird häufig durch auf Presserecht spezialisierte Rechtsanwälte und bestimmte Gerichte ausgehöhlt. Als Blogger läuft man etwa bei einer unklaren Äußerung schnell Gefahr, mit kostspieligen Prozessen überzogen zu werden. Wer die Industrie, die Kirche oder reiche Leute kritisiert, wird von einigen Gerichten mit unverhältnismäßiger Härte in Existenznöte gebracht und muss sich auf jahrelange Prozesse gefasst machen, bis er vor dem Bundesgerichtshof und dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommt.

 

Zur Einschüchterung missliebiger Berichte suchen Juristen nach nebensächlichen Schwachstellen, die sich in fast jedem Text finden oder hineindeuten lassen. So pervertieren trickreiche Juristen Markenrecht, Urheberrecht und »Unternehmenspersönlichkeitsrechte« und überschütten Blogger mit Abmahnungen und erschlichenen einstweiligen Unterlassungsverfügungen. Die Anforderungen, die manche Gerichte an Verdachtsberichterstattung stellen, sind im journalistischen Alltag oft nicht mehr erfüllbar, schon gar nicht können Bloggern die zum Teil weltfremden Bedingungen zugemutet werden. Die Folge ist Selbstzensur. Die PIRATEN werden jedoch nicht akzeptieren, dass das Recht auf Meinungsfreiheit vom Geldbeutel abhängt.

 

Das Blog Regensburg-Digital hatte mehrfach kritisch über die Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche berichtet. Die Diözese Regensburg nahm den Blog-Betreiber Stefan Aigner auf Unterlassung in Anspruch und schleifte ihn aufgrund des “Fliegenden Gerichtsstands” vor die als scharf geltenden Hamburger Gerichte. Aigner hatte unter Berufung auf einen Bericht des Magazins DER SPIEGEL, den die Diozöse Augsburg ebenfalls verklagte, die Zahlungen von Kirchenvertretern an Missbrauchsopfer als »Schweigegeld« bezeichnet. In beiden Fällen entschied die Berufungsinstanz für die Pressefreiheit, so dass Regensburg-Digital 2012 wieder ohne »Maulkorb« über die Vertuschungsversuche der Kirche berichten durfte. Das Geld für den Rechtsstreit war innerhalb kurzer Zeit durch eine Online-Spendenkampagne gesammelt worden.

 

Selbst erfahrene Medienrechtsanwälte wie der NRW-Listenplatzkandidat Markus Kompa sind nicht vor solchen Methoden sicher. So verbot ihm 2012 das Landgericht Hamburg in seinem Blog das Verlinken eines bei YouTube gehosteten Videos, in welchem das ZDF vor einem fragwürdigen Krebs-Wunderheiler warnte. Faktisch ist damit das Verlinken von fremden Beiträgen wieder eine juristische Gefahr geworden, obwohl die Gerichte in Karlsruhe ähnliche Urteile längst aufgehoben hatten. Über 1.500 Menschen, darunter viele PIRATEN, solidarisierten sich mit dem Blogger und finanzierten ihm ebenfalls den Rechtsweg, der voraussichtlich auch bis nach Karlsruhe führt.

 

Depublikationszwang und Leistungsschutzrecht

 

Die Begehrlichkeiten der Verleger-Lobby an den Gesetzgeber begleiten die PIRATEN mit Kritik und Sorge.

 

Die von Verlagen und privaten Rundfunkanbietern durchgesetzte Pflicht für öffentlich-rechtlicher Sender, ihre Inhalte nach Zeitablauf zu »depublizieren«, lösen bei den PIRATEN Befremden aus. Diese Inhalte wurden von der Allgemeinheit bezahlt und sollten in einer Informationsgesellschaft auch nachhaltig verfügbar sein. Der Zwang zum Löschen von Informationen zur Subventionierung der Content-Industrie ist grotesk und bildungsfeindlich.

 

Das nunmehr vom Bundestag verabschiedete Leistungsschutzgesetz ist eine gesetzgeberische Bankrotterklärung. Einen wirklichen Nutzen für die Medienhäuser, Suchmaschinen von ihren Berichten faktisch auszusperren, vermögen die PIRATEN nicht zu erkennen. Derartige Hindernisse behindern jedoch die Recherche und Informationsfreiheit der Allgemeinheit. Die unklare Gesetzesfassung produziert Rechtsunsicherheit. Wie bereits beim Zugangserschwerungsgesetz von 2009 hat der Bundestag beim Leistungsschutzrecht wieder gegen den Rat praktisch aller Experten entschieden. Die PIRATEN fordern die Politiker aller Fraktionen dazu auf, das absurde Gesetz zu Fall zu bringen.

 

Fazit

 

Deutschland steht laut einer Studie von Reporter ohne Grenzen 2013 in Sachen Pressefreiheit weltweit gerade einmal auf Platz 17. 2012 rangierte Deutschland noch auf Platz 16. Die PIRATEN halten diesen Trend einer Informationsgesellschaft für unwürdig. Gesellschaftlicher Fortschritt benötigt eine freie, funktionsfähige Presselandschaft.

 

Katharina Nocun, Themenbeauftragte für Datenschutz der Piratenpartei Deutschland, resümiert: »Der digitale Wandel stellt Medienlandschaft und Politik vor neue Herausforderungen, denen man nicht mit der Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit begegnen darf. Vorratsdatenspeicherung, Standards für Abhörschnittstellen bei Sozialen Netzwerken und Bestrebungen einzelner Staaten für mehr Überwachung im Netz auf völkerrechtlicher Basis zeichnen eine bedenkliche Tendenz hin zu weniger Freiheit und mehr Überwachung. Dass am Tag vor dem Welttages gegen Internetzensur eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes in Sachen Bestandsdatenauskunft verhandelt wird, ist natürlich ein Skandal! Ebenso skandalös ist, dass deutsche Software in autoritäre Regime exportiert wird und dort zur Verfolgung und Unterdrückung von Bloggern, Aktivisten und Journalisten eingesetzt wird.

 

Zugleich wird immer wieder versucht, die Auskunftsrechte bei Presseanfragen einzuschränken, anstatt digitale Medien für eine umfassende Transparenzinitiative zu nutzen. Die Politik muss begreifen, dass Blogger und Bürger in der Berichterstattung der Zukunft durch das Internet eine größere Rolle spielen. Anonymität im Netz und Schutz vor Verfolgung muss auch bei Online-Journalisten und Bloggern gewährleistet werden.«

 

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