Am 1. November 2015 soll das neue Asylrecht in Kraft treten. Bereits Mitte Oktober wird es Bundestag und Länderkammer passieren, wenn es nach den Plänen des Kanzleramts geht. Das Gesetz soll im Eilverfahren beschlossen werden. Die Bundesregierung lässt die Muskeln spielen, um zu zeigen, dass sie die „Flüchtlingskrise“ in den Griff bekommt. Hauptsächliche Schwerpunkte des neuen Asylrechts sind zügige Abschiebungsverfahren, die Einstufung weiterer Länder als sichere Herkunftsstaaten, verschärfte Asylregeln und Finanzhilfen vom Bund für die Länder. Wenn ein Gesetz so überstürzt durchgebracht werden soll, ist es immer angebracht, es kritisch unter die Lupe zu nehmen.
Abschottung
Albanien, Kosovo und Montenegro sollen durch das neue Gesetz zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Wer aus sicheren Herkunftsländern stammt und seinen Asylantrag nach dem 1. September 2015 stellte, wird mit einem Beschäftigungsverbot belegt.
Auf diese Weise will die Bundesregierung Menschen „abschrecken“ und hofft, durch möglichst schlimme Bedingungen für die Geflüchteten zu verhindern, dass diese ihre Heimatländer verlassen. Menschenrechtsorganisationen wie ProAsyl kritisieren diese Pläne, denn im Kosovo sind immer noch fünftausend KFOR-Soldaten der NATO stationiert, weil zumindest im Norden des Landes Eskalationspotenzial vorhanden ist. In Montenegro herrscht die Mafia, die Einfluss auf Politik, Polizei und Rechtssystem nimmt. Auch im Kosovo ist die Lage teilweise unsicher.
Zudem ist es ohnehin sehr fragwürdig, Entscheidungen auf der Basis solcher Klassifizierungen von Ländern zu treffen, denn ein Land muss nicht für alle Menschen gleich sicher sein. Sinti und Roma werden in Frankreich (ganz anders als in Deutschland) zum Beispiel als „gruppenspezifisch Verfolgte“ anerkannt, weil sie in ihren Herkunftsländern diskriminiert werden, auch wenn andere Menschen dort normal leben können. Außerdem ist fraglich, ob und wie schnell eine Einstufung als „sicheres Herkunftsland“ bei Verschlechterungen der Lage geändert würde. Wie viele Opfer müssten nachweisen, dass sie politisch verfolgt oder sogar gefoltert wurden, bis eine einmal getroffene Einschätzung als falsch anerkannt würde?
Es ist also eine Entscheidung aus Bequemlichkeit, denn auf diese Art will die Regierung nach außen hin zeigen, dass sie aktiv die Anzahl der Geflüchteten senkt, ohne Rücksicht darauf, ob die Menschen in ihren Heimatländern gefährdet sind. Es widerspricht dem Grundgedanken des Asyls, solche die Heimatländer betreffenden Einschätzungen überhaupt erst vorzunehmen, denn auch in einem nach außen hin sicher wirkenden Land kann es zu Verfolgung und Diskriminierung kommen. Einzig wirksam ist es, die Situation der Geflüchteten individuell zu prüfen und danach zu entscheiden. Wenn die Regierung nun versichert, dass das natürlich auch weiterhin getan würde, erweist sich die Festlegung „sicherer Herkunftsländer“ um so mehr als sinnlose Etikettierung.
Abschreckung
Das neue Asylgesetz beinhaltet ein Bündel an Maßnahmen, das den Geflüchteten den Aufenthalt in Deutschland so unangenehm wie möglich machen soll, um sie zur Ausreise zu drängen und weitere Menschen abzuhalten, auch nach Deutschland kommen zu wollen.
Geflüchtete werden zukünftig gezwungen, bis zu sechs Monate in den Erstaufnahmeeinrichtungen zu bleiben. Für Geflüchtete aus den angeblich sicheren Westbalkanstaaten bedeutet das, bis zum Ende ihres Asylverfahrens – also bis zur Abschiebung – dort leben zu müssen.
Damit werden die Erstaufnahmeeinrichtungen zu „Abschiebungszentren“ gemacht, in denen ein Teil der geflüchteten Menschen nur noch darauf wartet, gezwungen zu werden, Deutschland zu verlassen. Zudem werden die Erstaufnahmeeinrichtungen noch stärker belastet, als dies bereits jetzt der Fall ist.
Die Bundesländer dürfen Abschiebungen nur noch für drei Monate aussetzen. Menschen, die einen Termin für die Abschiebung verstreichen ließen, werden ohne Ankündigung abgeschoben, weil sie „untertauchen“ könnten. Dieses Vorgehen kriminalisiert nicht nur die Hilfe suchenden Menschen, sondern führt dazu, dass bei einer solchen spontanen Abschiebung sogar Familien getrennt werden könnten. Für Kinder und Heranwachsende ist es besonders traumatisch, unvorbereitet aus ihrem gewohnten Umfeld gerissen und ins Ungewisse verfrachtet zu werden.
Während die mangelhafte, oft menschenunwürdige Unterbringung Konflikte und Aggression schon jetzt begünstigt, wird das Gesetz diese noch verstärken: Zukünftig werden in den überfüllten Lagern etliche Menschen lange Zeit im Wissen um ihre bevorstehende Abschiebung ausharren müssen. Bei Freunden, Bekannten oder Verwandten in Deutschland darf niemand wohnen, obwohl das sogar die Unterbringungskosten sparen und dem Geflüchteten wirklich helfen würde.
Um den Druck auf sogenannte „Wirtschaftsflüchtlinge“ zu erhöhen, hat die Bundesregierung beschlossen, Menschen, die einen Termin zur „freiwilligen Ausreise“ verstreichen ließen, die ohnehin kargen Leistungen zu streichen. Nach dem neuen Asylgesetz sollen sie nur noch das Lebensnotwendigste, nämlich „Ernährung und Unterkunft sowie die Körper- und Gesundheitspflege“ erhalten. Das ist ein gezielter Angriff auf die Menschenwürde der Geflüchteten, denn bisher wurde nicht mehr als das gezahlt, was das Bundesverfassungsgericht als Existenzminimum ansieht. Sachleistungen statt Geldleistungen sieht das neue Asylgesetz vor. Wenn Geldleistungen noch ausgezahlt werden, dann nur für einen kurzen Zeitraum.
So sollen Menschen gezielt abgeschreckt werden, denn die Bundesregierung möchte „Fehlanreize für Menschen ohne Bleiberecht“ vermeiden. Mit dieser Regelung werden die Menschen nicht nur entmündigt, sondern auch ein neuer, irrsinniger Verwaltungsaufwand geschaffen, denn zukünftig müssen die Behörden wieder einzelne Sachleistungen genehmigen. Eigentlich sollte man meinen, dass es das erklärte Ziel war, dass durch das neue Asylgesetz Verwaltungsaufwand abgebaut werden sollte. Aber das Gegenteil ist der Fall.
Absurd, dass man im Frühjahr 2015 das genaue Gegenteil beschlossen hatte, nämlich Geldzahlungen statt Sachleistungen. Zustimmung dürfte dieses Gesetz nur bei den sogenannten „besorgten Bürgern“ finden. Wenig durchdacht ist dafür noch die freundlichste Umschreibung.
Positive Ansätze
Tatsächlich gibt es auch einige Regelungen im neuen Asylrecht, die den Geflüchteten zu Gute kommen. Bisher waren Arztbesuche, jede medizinische Behandlung ein Riesenaufwand, denn augenblicklich müssen sich die Menschen für fast jeden Arztbesuch vom Amt eine Bescheinigung holen.
Geplant ist zukünftig, dass die jeweiligen Krankenkassen in den Ländern die Behandlung bezahlen und dann die Kosten und den Verwaltungsaufwand von den Kommunen erstattet bekommen. Bundesländer können auch beschließen, eine Gesundheitskarte für Geflüchtete einzuführen. Diese Regelung vereinfacht das Leben der Menschen in Deutschland und verringert den Verwaltungsaufwand.
Mehr finanzielle Mittel für Sprachkurse und ein verbessertes Angebot mit berufsbezogenen Sprachkursen wird Menschen „mit guter Bleibeperspektive“ die Teilnahme an der Gesellschaft und den Einstieg in den Arbeitsmarkt erleichtern. Es ist allerdings fraglich, ob das Budget wirklich ausreicht und wie die Definition „mit guter Bleibeperspektive“ genau lautet.
Außerdem sollen die Integrationskurse des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge besser mit der Bundesagentur für Arbeit verzahnt werden: „Nach drei Monaten dürfen Asylbewerber und Geduldete als Leiharbeiter eingesetzt werden, wenn es sich um Fachkräfte handelt.“
Finanzielle Entlastung für Länder und Kommunen
Der Bund stellt zukünftig eine Pauschale für jeden Geflüchteten in Höhe von 670 Euro pro Monat bereit, um Länder und Kommunen zu entlasten. Diese Zahlung geht allerdings nicht an die Geflüchteten. Sie ist ausschließlich für die Länder und Kommunen bestimmt. Die Zahlung beginnt mit dem Tag der Erstregistrierung und endet bei Abschluss des Verfahrens. Dauert das Asylverfahren länger, zahlt auch der Bund länger. Kommen mehr Geflüchtete, erhalten Länder und Kommunen mehr Geld. So hat sich der Bund dazu durchgerungen, seine Unterstützung auf zwei Milliarden Euro zu erhöhen. Dieser Schritt war für die belasteten Kommunen bitter notwendig.
Mit dem neuen Asylrecht wird das Bauplanungsrecht gelockert. Auf diese Art soll die Unterbringung der Geflüchteten erleichtert und 150.000 Erstaufnahmeplätze geschaffen werden. Länder und Kommunen hätten nach dem neuen Asylgesetz sehr „weitgehende Gestaltungsmöglichkeiten, um unverzüglich Umnutzungs- und Neubaumaßnahmen zu planen, zu genehmigen und durchzuführen“. Dies ermöglicht ihnen, leer stehende Immobilien zu nutzen und wird hoffentlich ermöglichen, dass die Geflüchteten den Winter nicht in Zelten verbringen müssen. Die Maßnahme darf aber nicht dazu führen, dass die ohnehin schon niedrigen Standards für die Unterbringung der Menschen noch weiter gesenkt werden.
Fazit
Das neue Asylrecht erscheint in weiten Teilen ein Geschenk an diejenigen zu sein, die immer wieder betonen, „das Boot sei voll“ und die Grenzen der Aufnahmebereitschaft in Deutschland seien erreicht. Diesen Stimmen sind die verschärften und wenig durchdachten Passagen des Gesetzespakets geschuldet – es wird sie jedoch nicht verstummen lassen, sondern eher dafür sorgen, dass sich die Betreffenden von der Regierung in ihren Vorurteilen bestätigt sehen.
Den bürokratischen Erleichterungen bei der Gesundheitsversorgung und verbesserte Integrations- und Sprachkurse kann man zustimmen. Entlastung bedeutet das Gesetz für Kommunen, die bisher vom Bund im Stich gelassen wurden. Trotzdem überwiegen die Regelungen, die Geflüchteten ihre Menschenwürde nehmen. Diese sind ein Skandal. Es wird das Bild des „gierigen Wirtschaftsflüchtlings“ in den Köpfen der Menschen beschworen, obwohl klar ist, dass augenblicklich die meisten Geflüchteten aus Syrien und anderen Kriegs- oder Krisengebieten kommen. Die Antragstellung dieser Menschen ist legitim, sie erfüllen unsere Kriterien für die Gewährung von Schutz. Damit läuft das Gesetz ins Leere, schlimmer noch: Es bringt bürokratischen Mehraufwand, untergräbt unsere moralischen Werte und trifft Menschen in Not.
Zünglein an der Waage bei der Einführung des Gesetzes ist der Bundesrat, denn zustimmen müssen mindestens zwei Länder, in denen die Grünen mitregieren. Es bleibt zu hoffen, dass das neue Asylrecht noch aufzuhalten ist und sorgfältig überarbeitet wird.
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